Mittwoch, 17. Dezember 2008
Mobilisierung der französischen Jugend
kollontai, 01:28h
Eine französische Genossin über die neue Protestbewegung an den Schulen und Hochschulen Frankreichs:
Eine große spontane und entschlossene Mobilisation findet gerade jetzt in den Gymnasien, Schulen und Hochschulen (IUT) Frankreichs statt: Hunderte Blockaden, Streiks, Besetzungen und natürlich Demonstrationen tausender Schüler und Lehrer sind zu beobachten. Jeden Dienstag und Donnerstag sind in fast allen Städten des Landes Demonstrationen zu finden.
Warum? Die Regierung hat die Abschaffung tausender Arbeitsstellen in den Schulen beschlossen, so wie eine Reform der Lehrprogramme, welche weniger verschiedenartig sein sollen, der Stundenpläne und des einheitlichen Ausbildungssystems im ganzen Land. Ein Eingreifen privater Unternehmen in den Haushalt der Gymnasien wäre dank diesem Gesetz auch gewährleistet: Ein Schritt in Richtung Privatisierung ?
Die Jugend lehnt dies aber ab. Eine Koordinierung der Streikenden und der mobilisierten Leute wurde deshalb ins Leben gerufen, die denen der Studentenbewegung sehr ähnlich ist. Zuerst begannen die Bewegungen vereinzelt Form anzunehmen. Die Schüler organisierten sich selbst, statt sich von den bürokratischen Gewerkschaften, wie UNL oder FIDL, vor den Karren spannen zu lassen. Sie versammeln sich in AG, d.h. Generalversammlungen, und bestimmen alles in demokratischer Art und Weise selbst, zum Beispiel ihre Vertreter, die zu den landesweiten Versammlungen delegiert werden, auf denen dann u.a. Forderungspapiere erstellt und Flugblätter entworfen werden. Selbstorganisation heißt aber auch seine Belange selbstständig an andere heranzutragen: Die Schüler gehen in den Klassen herum, informieren, klären auf und führen Debatten mit ihren Schulkameraden.
Warum sie sich unabhängig von den großen Gewerkschaften organisieren? Diese hatten vor ein paar Monaten das Gesetz erst akzeptiert, dann aber um eine Verschiebung der Anwendung gebeten, was der Minister damals allerdings noch abgelehnt hatte. Der Generalsekretär der bürgerlichen CFDT-Gewerkschaft, François Chérèque, erklärte, dass es sich hierbei um ein Problem der „Methode“ handele, dass die Regierung ihre Reformen „nicht erklärt“ und dass „niemand sie verstehen kann“. Offenbar ist es aber wohl eher so, dass die Menschen diese Reform nur zu gut verstehen.
Am 15. Dezember hat die Regierung das Gesetz dann tatsächlich um ein Jahr verschoben (die Reform soll erst ab 2010 gelten). Hier sind sicher auch unangenehme Erinnerungen an die Proteste gegen den sogenannten Einstellungsvertrag(CPE) im Jahre 2006 wach geworden, in deren Zuge das Gesetz fallen gelassen wurde. Damals war die Mobilisation derart hoch, dass sich die Regierung selbst bedroht sah. Nun, da die Lage in Griechenland als Reaktion auf die dortige Polizeigewalt eskaliert ist, hat sich eine riesige Angst vor sozialen Unruhen in den Reihen der Regierung eingenistet: Man spricht bereits sogar vom „griechischen Syndrom“. Der Minister des Schul- und Hochschulwesens, Xavier Darcos, erklärte nämlich: „Ich verschiebe lieber die Reform der Schulen, so dass wir nicht das Risiko eingehen, dass sie der Funke ist, der das Pulverfass zum Explodieren bringt.“ Dies ist auch die Rechtfertigung der Repressionen durch die Polizei. Die Stimmung einiger Demonstrationen und Blockaden ist deshalb sehr angespannt, vor allem im Westen und Süden Frankreichs. Er sagte weiterhin: “Wir sollen alles wieder von Anfang an diskutieren, weil wir diese Reform ohne die Jugend nicht machen werden.“ Daher hat er auch ein Treffen mit den Schülergewerkschaften für den Januar angesetzt. Darcos weiter: „Ich habe dem Präsident gesagt, dass die Reform schon fertig ist, dass aber aus allen diesen Gründen die Stimmung nicht geeignet ist. So sollte man sich lieber ein bisschen Zeit lassen und sich die ganze Sache aufs Neue überlegen.“ „Das ist alles andere, als die Reform zu begraben. Vielmehr ist es die einzige Art und Weise, um sicher nach vorn zu gehen“. Dabei wagt er zu behaupten, die Mobilisierung sei eine „irrationale Reaktion“ und die Reform fände „breite Zustimmung“ bei den Lehrern! Diese – wie die meisten Eltern - unterstützen aber ihre Schüler und demonstrieren mit ihnen gemeinsam, da sie natürlich als Erste vom Gesetz und von der Abschaffung der Stellen betroffen sind.
Trotzdem bleibt die Mobilisierung sehr stark, weil die jungen Menschen in Frankreich keine Verschiebung des Gesetzes wollen, sondern seine Aufhebung. Eine Gefahr stellen aber die Weihnachtsferien dar, weil die Bewegung in dieser Pause zu stagnieren und am Schuljahresbeginn auszusterben droht. Das weiß natürlich auch die Regierung, die auf die Verschiebung als eine Art Joker gesetzt hat. Die Streikenden bleiben deshalb aber ebenso wachsam, wie zum Beispiel die Lehrer in Montpellier (Südfrankreich), die Weihnachtsessen und –abende organisieren wollen. Die Forderungen gehen sogar noch weiter: Abschaffung der anderen Gesetze von Darcos und Verzicht auf alle Stellenaufhebungen.
Solidarität mit den Streikenden und Demonstranten wird daher auch im neuen Jahr unbedingt erforderlich sein!
Es soll noch daran erinnert werden, dass die französische Schüler- und Studentenbewegung in den letzten beiden Jahrzehnten einige Erfolge vorzuweisen hat. Folgende Gesetze konnten z.B. von erfolgreich abgewehrt werden:
1986, das Gesetz von Minister Devaquet,
1994, das CPI Gesetz von Balladur,
1995, das Gesetz über die IUT von Fillon,
2003, Gesetz über die Universitäten von Fillon,
2005, Gesetz über die Schulen und das Abitur von Fillon, und
2006, das CPE-Gesetz(Einstellungsvertrag) von de Villepin.
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Auch wenn dieser Kampf noch lange nicht entschieden ist, haben die Proteste das erste Einknicken der Regierung Sarkozy seit deren Amtsantritt bewirken können. Wir, als marxistische Hochschulgruppe in Jena, solidarisieren uns ausdrücklich mit den Schülern, Lehrern und Studenten in Frankreich und rufen zu Unterstützungsaktionen auf, wo immer es möglich ist.
Eine große spontane und entschlossene Mobilisation findet gerade jetzt in den Gymnasien, Schulen und Hochschulen (IUT) Frankreichs statt: Hunderte Blockaden, Streiks, Besetzungen und natürlich Demonstrationen tausender Schüler und Lehrer sind zu beobachten. Jeden Dienstag und Donnerstag sind in fast allen Städten des Landes Demonstrationen zu finden.
Warum? Die Regierung hat die Abschaffung tausender Arbeitsstellen in den Schulen beschlossen, so wie eine Reform der Lehrprogramme, welche weniger verschiedenartig sein sollen, der Stundenpläne und des einheitlichen Ausbildungssystems im ganzen Land. Ein Eingreifen privater Unternehmen in den Haushalt der Gymnasien wäre dank diesem Gesetz auch gewährleistet: Ein Schritt in Richtung Privatisierung ?
Die Jugend lehnt dies aber ab. Eine Koordinierung der Streikenden und der mobilisierten Leute wurde deshalb ins Leben gerufen, die denen der Studentenbewegung sehr ähnlich ist. Zuerst begannen die Bewegungen vereinzelt Form anzunehmen. Die Schüler organisierten sich selbst, statt sich von den bürokratischen Gewerkschaften, wie UNL oder FIDL, vor den Karren spannen zu lassen. Sie versammeln sich in AG, d.h. Generalversammlungen, und bestimmen alles in demokratischer Art und Weise selbst, zum Beispiel ihre Vertreter, die zu den landesweiten Versammlungen delegiert werden, auf denen dann u.a. Forderungspapiere erstellt und Flugblätter entworfen werden. Selbstorganisation heißt aber auch seine Belange selbstständig an andere heranzutragen: Die Schüler gehen in den Klassen herum, informieren, klären auf und führen Debatten mit ihren Schulkameraden.
Warum sie sich unabhängig von den großen Gewerkschaften organisieren? Diese hatten vor ein paar Monaten das Gesetz erst akzeptiert, dann aber um eine Verschiebung der Anwendung gebeten, was der Minister damals allerdings noch abgelehnt hatte. Der Generalsekretär der bürgerlichen CFDT-Gewerkschaft, François Chérèque, erklärte, dass es sich hierbei um ein Problem der „Methode“ handele, dass die Regierung ihre Reformen „nicht erklärt“ und dass „niemand sie verstehen kann“. Offenbar ist es aber wohl eher so, dass die Menschen diese Reform nur zu gut verstehen.
Am 15. Dezember hat die Regierung das Gesetz dann tatsächlich um ein Jahr verschoben (die Reform soll erst ab 2010 gelten). Hier sind sicher auch unangenehme Erinnerungen an die Proteste gegen den sogenannten Einstellungsvertrag(CPE) im Jahre 2006 wach geworden, in deren Zuge das Gesetz fallen gelassen wurde. Damals war die Mobilisation derart hoch, dass sich die Regierung selbst bedroht sah. Nun, da die Lage in Griechenland als Reaktion auf die dortige Polizeigewalt eskaliert ist, hat sich eine riesige Angst vor sozialen Unruhen in den Reihen der Regierung eingenistet: Man spricht bereits sogar vom „griechischen Syndrom“. Der Minister des Schul- und Hochschulwesens, Xavier Darcos, erklärte nämlich: „Ich verschiebe lieber die Reform der Schulen, so dass wir nicht das Risiko eingehen, dass sie der Funke ist, der das Pulverfass zum Explodieren bringt.“ Dies ist auch die Rechtfertigung der Repressionen durch die Polizei. Die Stimmung einiger Demonstrationen und Blockaden ist deshalb sehr angespannt, vor allem im Westen und Süden Frankreichs. Er sagte weiterhin: “Wir sollen alles wieder von Anfang an diskutieren, weil wir diese Reform ohne die Jugend nicht machen werden.“ Daher hat er auch ein Treffen mit den Schülergewerkschaften für den Januar angesetzt. Darcos weiter: „Ich habe dem Präsident gesagt, dass die Reform schon fertig ist, dass aber aus allen diesen Gründen die Stimmung nicht geeignet ist. So sollte man sich lieber ein bisschen Zeit lassen und sich die ganze Sache aufs Neue überlegen.“ „Das ist alles andere, als die Reform zu begraben. Vielmehr ist es die einzige Art und Weise, um sicher nach vorn zu gehen“. Dabei wagt er zu behaupten, die Mobilisierung sei eine „irrationale Reaktion“ und die Reform fände „breite Zustimmung“ bei den Lehrern! Diese – wie die meisten Eltern - unterstützen aber ihre Schüler und demonstrieren mit ihnen gemeinsam, da sie natürlich als Erste vom Gesetz und von der Abschaffung der Stellen betroffen sind.
Trotzdem bleibt die Mobilisierung sehr stark, weil die jungen Menschen in Frankreich keine Verschiebung des Gesetzes wollen, sondern seine Aufhebung. Eine Gefahr stellen aber die Weihnachtsferien dar, weil die Bewegung in dieser Pause zu stagnieren und am Schuljahresbeginn auszusterben droht. Das weiß natürlich auch die Regierung, die auf die Verschiebung als eine Art Joker gesetzt hat. Die Streikenden bleiben deshalb aber ebenso wachsam, wie zum Beispiel die Lehrer in Montpellier (Südfrankreich), die Weihnachtsessen und –abende organisieren wollen. Die Forderungen gehen sogar noch weiter: Abschaffung der anderen Gesetze von Darcos und Verzicht auf alle Stellenaufhebungen.
Solidarität mit den Streikenden und Demonstranten wird daher auch im neuen Jahr unbedingt erforderlich sein!
Es soll noch daran erinnert werden, dass die französische Schüler- und Studentenbewegung in den letzten beiden Jahrzehnten einige Erfolge vorzuweisen hat. Folgende Gesetze konnten z.B. von erfolgreich abgewehrt werden:
1986, das Gesetz von Minister Devaquet,
1994, das CPI Gesetz von Balladur,
1995, das Gesetz über die IUT von Fillon,
2003, Gesetz über die Universitäten von Fillon,
2005, Gesetz über die Schulen und das Abitur von Fillon, und
2006, das CPE-Gesetz(Einstellungsvertrag) von de Villepin.
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Auch wenn dieser Kampf noch lange nicht entschieden ist, haben die Proteste das erste Einknicken der Regierung Sarkozy seit deren Amtsantritt bewirken können. Wir, als marxistische Hochschulgruppe in Jena, solidarisieren uns ausdrücklich mit den Schülern, Lehrern und Studenten in Frankreich und rufen zu Unterstützungsaktionen auf, wo immer es möglich ist.
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herzl,
Mittwoch, 17. Dezember 2008, 14:24
Ja
Beeindruckend, was in Frankreich für eine Mobilisierung möglich ist.
Hierzulande schaffen es nur ein paar wenige auf die Straße und noch ein paar andere finden es cool, in ihren "Protest" die Zerstörung von Ausstellungen über Shoa-Opfer und sprüche wie "Scheiß Israel!" einzubeziehen.
Scheiß Deutschland!
Hierzulande schaffen es nur ein paar wenige auf die Straße und noch ein paar andere finden es cool, in ihren "Protest" die Zerstörung von Ausstellungen über Shoa-Opfer und sprüche wie "Scheiß Israel!" einzubeziehen.
Scheiß Deutschland!
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juan rivera,
Donnerstag, 18. Dezember 2008, 09:38
Wenn du glaubst, dass in Frankreich jeder mit USA und Israel Fahnen herumrennt, dann bist du auf dem Holzweg.
Antideutsche Parolen sind hier außerdem völlig fehl am Platz.
Antideutsche Parolen sind hier außerdem völlig fehl am Platz.
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herzl,
Sonntag, 21. Dezember 2008, 21:10
Ich bin nicht doof. Ich wollte eher auf die mikrige Protestkultur unter deutschen Schülern/Studenten - wobei ich mich da auch nicht ausnehme - und die dabei stattgefundenen Exzesse gegen jüdische Symbole hinweisen.
Und auch ein bisschen provokativ meinen Einstand als Kommentator dieses 'Blogs' begehen. : )
Und auch ein bisschen provokativ meinen Einstand als Kommentator dieses 'Blogs' begehen. : )
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juan rivera,
Dienstag, 13. Januar 2009, 03:13
Da bedanken wir uns erstmal recht herzlich bei dir. :D
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